Stellugnahme der IVS Wien zu
Geplante Novellierungen im ALVG, AMSG und APflG
ALVG – Arbeitslosenversicherungsgesetz
AMSG – Arbeitsmarktservicegesetz
APflG – Ausbildungspflichtgesetz
Babysteps mit Riesenchancen?
Mit der geplanten Neuregelung von Jugendlichen in der Arbeitslosenversicherung und der damit verbundenen Anhebung der verpflichtenden Überprüfung der Arbeitsfähigkeit auf 25 Jahre, ist ganz sicher ein erster Schritt in die richtige Richtung gemacht und eine dahinterliegende komplexe Problematik und Diskussion – „Arbeits(un)fähigkeit“ in Österreich – losgetreten worden.
Die IVS Wien begrüßt die Grundabsicht der Novellierung ausdrücklich.
Wie bereits in partizipativen Arbeitsgruppen gefordert, stellt das Aussetzen der verpflichtenden Überprüfung der Arbeitsfähigkeit, was vielfach gleichbedeutend mit der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (= Tagesstruktur) ist, eine wesentliche und grundlegende Voraussetzung dar, einer vorerst definierten Gruppe einen chancengleichen Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen und der Umsetzung des Artikel 27 der UN BRK ein paar Schritte näherzukommen.
Babyschritte …
… weil das Gesetz eine Altersgrenze festlegt und Personen unter 25 Jahre die vor dem geplanten Inkrafttreten der Gesetzesnovelle als arbeitsunfähig begutachtet wurden, nicht umfasst sind.
… weil der Zusatz, dass Schulungsmaßnahmen für Personen die „zumindest eingeschränkt bestimmte auf dem Arbeitsmarkt noch bewertete Tätigkeiten ausüben können“ noch Fragen offen lässt.
- Was sind bewertete Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt?
- Welche Kriterien werden dazu herangezogen?
- Wer bewertet ob eine Person dem gerecht werden kann?
An dieser Stelle darf angemerkt werden, dass auch in vielen Tagesstrukturen, die vom Angebot sehr unterschiedlich sind, verwertbare Leistungen erbracht werden. Auch diese Tatsache darf nicht losgelöst von der Forderung Lohn statt Taschengeld betrachtet werden darf.
… weil in Kenntnis der föderalen Strukturen und deren Beharrlichkeit eine geforderte intensive und abgestimmte Bereitstellung, Entwicklung und Ausbau von Maßnahmen zwischen AMS, SMS und Bundesländern bis zum geplanten Inkrafttreten eine zeitlich sehr ambitionierte ist.
… weil die Annahme von 100 zusätzlichen Personen viel zu niedrig angesetzt ist. Sie geht vom derzeit praktizierten System der Überprüfung der Arbeits(un)fähgkeit der vom AMS verpflichteten Personen aus. Damit verbunden sind die vorgesehenen Gelder für den Ausbau von Schulungs-, Qualifizierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen entsprechend unterdotiert.
… weil ein grundlegend neues Denken über die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit notwendig und das überwiegend medizinische Modell von einer fähigkeitsorientierten Begutachtung abzulösen wäre.
… weil die Übergänge zwischen sozialversicherungspflichtiger Arbeit und Tagesstruktur unklar sind und damit die finanzielle Absicherung von Personen die in den „Zwischenwelten“ leben nicht klar geregelt ist.
Riesenchancen …
… weil mit der geplanten Novellierung für eine Gruppe von Menschen mit Behinderungen die bisherige Einbahnstraße in die Tagesstruktur unterbrochen wird und sich Institutionen unterschiedlicher Gebietskörperschaften gemeinsam noch intensiver mit den neuen rechtlichen Rahmenbedingungen auseinandersetzen müssen um tragfähige Lösungen zu etablieren.
… wenn für die im Gesetz geforderte intensive und abgestimmte Bereitstellung, Entwicklung und Ausbau von Maßnahmen entsprechend Zeit vorhanden ist und die einzelnen Systempartner, ohne auf ihren jeweiligen möglichen finanziellen Vorteil schielend, gemeinsam mit betroffenen Personen und Organisationen entsprechende Lösungen andenken. Bisher gute Praxis darf nicht verloren gehen.
… wenn dann für diese Maßnahmen ausreichend finanzielle Mittel und personelle Ressourcen zu Verfügung gestellt werden.
… wenn erkannt wird, dass die bisher geläufige Praxis einer medizinischen auf Einschränkungen und Defizit orientierten Begutachtung keine sinnvolle Voraussetzung für Inklusion in den Arbeitsmarkt darstellt und eine fähigkeitsorientierte Auseinandersetzung, dem Empowermentansatz folgend, zum Standard wird.
… und vor allem dann, wenn eine Durchlässigkeit zwischen den unterschiedlichen Maßnahmen möglich ist. Dazu notwendig ist auch unabhängig vom jeweiligen Status ein in der Höhe sozialrechtlich gesichertes Einkommen. Ein möglicher Verlust von bestehendem Einkommen darf kein Entscheidungskriterium für die Wahl der Arbeit sein.
Detailfragen offen und Passagen ungenügend präzisiert
Im Gesetzesentwurf bleiben noch viele Detailfragen offen und Passagen sind ungenügend präzisiert. Unter diesem Aspekt ist eine geplante Umsetzung mit Jänner 2024 ein sehr ehrgeiziger und die Zeitspanne hinsichtlich der notwendigen klärenden Vorarbeiten kritisch zu hinterfragen – bitte kein „speed kills“.
Für eine gelingende Umsetzung der Novellierung, bringen die Organisationen der IVS Wien gerne ihre Erfahrungen aus der Praxis ein.
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