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Grundsatzpapier:

Persönliche Assistenz für Menschen mit psychischen Erkrankungen

7. Dezember 2023

Persönliche Assistenz für alle Menschen mit Behinderungen! 
VertreterInnen des IVS Wien und der Plattform Zukunft Psychiatrie haben gemeinsam ein Grundsatzpapier für persönliche Assistenz bei Menschen mit psychischen Erkrankungen erstellt. Die rechlichen Grundlagen sind klar, die Sinnhaftigkeit ohne Zweifel, die Verweigerung bedenklich. Wir fordern persönliche Assistenz auch für Menschen mit psychischen Erkrankungen.

Grundlagen

In der UN-Behindertenrechtskonvention ist im Artikel 19 – Selbstbestimmtes Leben und Inklusion in der Gemeinschaft – unter anderem festgeschrieben:
Die Vertragsstaaten gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen den vollen Genuss dieses Rechts und ihre volle Inklusion in der Gemeinschaft und Teilhabe an der Gemeinschaft zu erleichtern, entschädigen Sie unter anderem gewährleisten, dass …
… Menschen mit Behinderungen Zugang zu einer Reihe von gemeindenahen Unterstützungsdiensten haben, zu Hause, in Einrichtungen und sonstiger Art, ausschließlich der persönlichen Assistenz, die zur Unterstützung des Lebens in der Gemeinschaft und der Inklusion in der Gemeinschaft sowie zur Verhinderung von Isolation und Segregation von der Gemeinschaft notwendig ist.

Wiener Chancengleichheitsgesetz § 14 (CGW):
Persönliche Assistenz soll Menschen mit Behinderungen in der Lage versetzen, in einem Privathaushalt ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben zu führen.

Im NAP Behinderung II steht:
Menschen mit Behinderungen sollen durch Leistungen, wie beispielsweise dem Persönlichen Budget, mehr Selbstbestimmung ermöglicht werden, wobei ein einheitlicher Begriff von Persönlichem Budget zu erarbeiten wäre.

Die Umsetzung der persönlichen Assistenz im Privatbereich (Wohnen, Freizeitgestaltung, Teilhabe an der Gesellschaft) liegt in der Zuständigkeit der Länder.
Dazu hat der UN-Fachausschuss bei der letzten Staatenprüfung gravierende Mängel bzw. Stillstand bei der De-Institutionalisierung festgestellt.

„Deinstitutionalisierung meint einen Prozess, bei dem institutionelle, organisatorische, bürokratische Formen der Fremdverwaltung des Lebens behinderter Menschen abgebaut werden und ihnen die Gestaltungskompetenz für ihr tägliches Leben (schrittweise) wieder übereignet wird“ (Wolfgang Jantzen).

Obwohl der Artikel 19 UN BRK impliziert und im NAP Behinderung II festgeschrieben ist, dass allen Menschen mit Behinderungen Zugang zu persönlicher Assistenz zu gewährleisten ist, blieb es bis dato in Österreich vor allem Menschen mit körperlichen Einschränkungen vorbehalten. Auch im CGW ist keine Einschränkung auf bestimmte Personengruppen festgeschrieben.

Was ist Persönliche Assistenz?

Persönliche Assistenz gibt Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit, ihr Leben nach eigenen Wünschen, Vorstellungen und Bedürfnissen gestalten zu können. Persönliche Assistenz umfasst alle Bereiche des täglichen Lebens, in denen Unterstützungsbedarf bzw. Hilfebedarf besteht. Das betrifft unter anderem Bereiche wie Körperpflege, die alltägliche Lebensführung, Unterstützung im Haushalt, Mobilitätshilfe, Behördengänge, Gesundheitsförderung/-erhaltung. Erst dadurch wird eine Aufnahme in die Gesellschaft möglich.

Der Unterschied zu herkömmlichen Hilfsangeboten bzw. Soziale Dienste bestehen darin, dass bei der Persönlichen Assistenz die Assistenznehmer*innen weitgehend die Organisation ihrer Hilfe selbst in die Hand nehmen und entscheiden, wer, wie, was, wann und wo die Unterstützung leistet. Das bedeutet, dass die Dienstleistung um die Kund*innen herum aufgebaut wird und nicht um eine Institution. Diese Individualität macht diese Dienstleistung so einzigartig und gewinnbringend.

Im Zusammenhang mit der Bundesrichtlinie zur Persönlichen Assistenz ist das Thema PA auch für Menschen mit psychischen Erkrankungen wieder vermehrt in den Fokus geraten. Dabei wird einmal mehr deutlich, wie tief die gesellschaftlichen (Vor-)Urteile gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht nur in der Bevölkerung allgemein, sondern auch in den Köpfen vieler im sozialen Bereich Tätiger verfestigt sind.

Daraus ergibt sich zu Unrecht, dass es als besonders schwierig erachtet wird, Menschen mit psychischen Erkrankungen die Leistung persönlicher Assistenz zugänglich zu machen.
Darüber hinaus wird gerade in Österreich davon ausgegangen, dass Assistenznehmer*innen immer und zu jeder Zeit in der Lage sein müssen, alle Aspekte der Organisation und Planung ihrer Unterstützung zu überblicken und steuern zu können. Das ist natürlich ein nicht lösbarer Anspruch, weil letztendlich alle Menschen mit und ohne Behinderungen immer wieder gesundheitliche Krisen durchleben, in denen sie phasenweise zusätzliche Unterstützung benötigen.

Dieses Papier soll mit dazu beitragen, die genannten Befürchtungen zu entkräften und darzustellen, wie persönliche Assistenz auch für Menschen mit psychischen Erkrankungen eine Unterstützungsleistung nach Artikel 19 UN-BRK sein kann.

Warum PA bei Menschen mit psychischen Erkrankungen?

Persönliche Assistenz gibt Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit, ihr Leben nach eigenen Wünschen, Vorstellungen und Bedürfnissen gestalten zu können. Persönliche Assistenz umfasst alle Bereiche des täglichen Lebens, in denen Unterstützungsbedarf bzw. Hilfebedarf besteht. Das betrifft unter anderem Bereiche wie Körperpflege, die alltägliche Lebensführung, Unterstützung im Haushalt, Mobilitätshilfe, Behördengänge, Gesundheitsförderung/-erhaltung. Erst dadurch wird eine Aufnahme in die Gesellschaft möglich.

Der Unterschied zu herkömmlichen Hilfsangeboten bzw. Soziale Dienste bestehen darin, dass bei der Persönlichen Assistenz die Assistenznehmer*innen weitgehend die Organisation ihrer Hilfe selbst in die Hand nehmen und entscheiden, wer, wie, was, wann und wo die Unterstützung leistet. Das bedeutet, dass die Dienstleistung um die Kund*innen herum aufgebaut wird und nicht um eine Institution. Diese Individualität macht diese Dienstleistung so einzigartig und gewinnbringend.

Im Zusammenhang mit der Bundesrichtlinie zur Persönlichen Assistenz ist das Thema PA auch für Menschen mit psychischen Erkrankungen wieder vermehrt in den Fokus geraten. Dabei wird einmal mehr deutlich, wie tief die gesellschaftlichen (Vor-)Urteile gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht nur in der Bevölkerung allgemein, sondern auch in den Köpfen vieler im sozialen Bereich Tätiger verfestigt sind.

Daraus ergibt sich zu Unrecht, dass es als besonders schwierig erachtet wird, Menschen mit psychischen Erkrankungen die Leistung persönlicher Assistenz zugänglich zu machen.
Darüber hinaus wird gerade in Österreich davon ausgegangen, dass Assistenznehmer*innen immer und zu jeder Zeit in der Lage sein müssen, alle Aspekte der Organisation und Planung ihrer Unterstützung zu überblicken und steuern zu können. Das ist natürlich ein nicht lösbarer Anspruch, weil letztendlich alle Menschen mit und ohne Behinderungen immer wieder gesundheitliche Krisen durchleben, in denen sie phasenweise zusätzliche Unterstützung benötigen.

Dieses Papier soll mit dazu beitragen, die genannten Befürchtungen zu entkräften und darzustellen, wie persönliche Assistenz auch für Menschen mit psychischen Erkrankungen eine Unterstützungsleistung nach Artikel 19 UN-BRK sein kann.

In der Regel wird persönliche Hilfe von Menschen mit Behinderungen in Anspruch genommen, die sich intensiv reflektiert und mit ihrem Hilfe- und Unterstützungsbedarf auseinandersetzen oder das wollen.
Menschen, die sich damit schwerer tun bzw. noch weniger Erfahrung haben, können sich bei Assistenzanbietern und Peerberatungsstellen unterstützen lassen und nach Wünschen und Möglichkeiten für das Arbeitgebermodell oder durch Dienstleister in der PA, sowie für Mischmodelle entscheiden.

Bei Menschen mit psychischen Erkrankungen ist das nicht anders.

Es gibt Menschen in dieser Personengruppe, die

  • sich intensiv mit ihrer Erkrankung auseinandergesetzt haben
  • sehr genau wissen, was ihnen guttut und wobei sie Unterstützung benötigen
  • in der Lage sind, ihren Krankheitsverlauf gut einzuschätzen, ihren Unterstützungsbedarf darauf abzustimmen und zu benennen, welche Unterstützung Sie benötigen in Krisen
  • ihre Gelder verwalten können
  • paktfähig sind
  • mittel- und langfristig planen können
  • uvm.

Für diese Personengruppe ist Persönliche Assistenz eine gute Wahl um sich zu stärken, Selbstbestimmung zu leben und um den Genesungsprozess zu unterstützen. Alles wichtige Faktoren, damit sich Menschen mit psychischen Erkrankungen stabilisieren können.
Gerade bei Menschen mit psychischen Erkrankungen kommt es häufig zu Phänomenen der Selbststigmatisierung und Erfahrungen von mangelhafter Selbstwirksamkeit. Diesen Phänomenen kann PA kräftig entgegenwirken.

Hinzu kommt, dass es Menschen mit psychischen Erkrankungen gibt, die traditionellen Unterstützungssystemen aufgrund ihrer Erfahrungen wenig Vertrauen entgegenbringen. Diese Personengruppe wird von den derzeit zur Verfügung stehenden Leistungen nicht erfasst. Für sie könnte die PA eine Möglichkeit sein, endlich notwendige Unterstützungsleistungen zu erhalten und damit sich selbst und ihr privates Umfeld zu entlasten.

Peerberatung, Vertrauensaufbau und Durchlässigkeit

„Die Entscheidungsfindung von Menschen in Machtpositionen zeichnet sich häufig durch die Heranziehung eines Beraterstabs aus. Manche Menschen finden es schick, in der Auswahl ihrer Bekleidung durch „Styleberater“ unterstützt zu werden. Während diese künstlich hergestellte „Fremdbestimmung“ als Statussymbol gilt, ist die Fremdbestimmung von Menschen mit Behinderungen Ergebnis einer Struktur, in der letztlich Dritte Macht über die Entscheidungsfindung und damit oft die Lebensgestaltung von Menschen mit Behinderungen haben.“ (Monitoringausschuss, Stellungnahme „Jetzt entscheide ich – Selbstbestimmte Entscheidungsfindung“, Mai 2012)

In Österreich gibt es wenig Erfahrungen mit PA für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Es macht Sinn, PA-Interessierten und Assistenznehmer*innen eine Peerberatung zur Seite zu stellen. Zu Peers ausgebildete Erfahrungsexpert*innen können ihr Erfahrungswissen zur Verfügung stellen und bei Bedarf auch konkret unterstützen. In Deutschland ist beispielsweise die Budgetassistenz ein anerkannter Teil des persönlichen Budgets.

Organisationen, die Erfahrung in der Betreuung von Menschen mit psychischen Erkrankungen haben, könnten unter Mitwirkung von Peers Pilotprojekten umsetzen. Genauso gut könnten Assistenzanbieter*innen mit Peers deren Erfahrungshintergrund eine psychische Erkrankung ist, Assistenz für Menschen mit psychischer Erkrankung anbieten.

Erfahrungen bei Menschen mit psychischen Erkrankungen zeigen, dass nicht zuletzt ihre negativen Erfahrungen mit Unterstützungssystemen geschuldet, der Vertrauensaufbau und unterstützende Peer Beratung, wesentliche Voraussetzungen für tragfähige Beziehungen, auch in Krisen, darstellen.

Es kommt auch jetzt schon vor, dass Dienstleister die Zusammenarbeit mit Assistenznehmer*innen beenden (müssen), weil es diesen – aus welchen Gründen auch immer – nicht gelingt, die Anforderungen an sie als Assistenznehmer*innen trotz beratender Unterstützung zu erfüllen.
Für den Fall, dass zB aufgrund einer massiven Krisensituation PA vorübergehend nicht alleine die geeignete Unterstützungsform ist, müssen rasch und unbürokratisch ergänzende Leistungen in geeigneten Settings für Menschen mit Behinderungen angeboten werden

Kontrolle

Ein zur Anwendung kommendes Kontrollsystem mit Sanktionen gilt für alle Assistenznehmer*innen und verhindert die missbräuchliche Verwendung von öffentlichen Mitteln.

Forderung

Die Verantwortlichen der Stadt Wien und der FSW werden der UN-Behindertenrechtskonvention, dem NAP II und dem Wiener Chancengleichheitsgesetz entsprechend dafür sorgen, dass alle Menschen mit Behinderungen – auch Menschen mit psychischen Erkrankungen – der Zugang zu einer bedarfsgerechten und einkommensunabhängigen Leistung Persönliche Assistenz haben wird .
In einem gemeinsamen Prozess mit Betroffenen und Organisationen sollen konzeptionelle Rahmenbedingungen geschaffen werden, die rasch eine konkrete Umsetzung ermöglichen.

Exkurs

Persönliche Assistenz versus Teilbetreutes Wohnen

Immer wieder wird ins Treffen geführt, dass mit Teilbetreuten Wohnen, das in Wien in den letzten Jahren für die Zielgruppe von Menschen mit psychischen Erkrankungen erfreulicherweise sehr massiv ausgebaut wurde, eine Leistung etabliert wurde, die inhaltlich der Persönlichen Assistenz sehr nahekommt .

Nachfolgend möchten wir auf einige wesentliche Unterscheidungsmerkmale eingehen:

Im Teilbetreuten Wohnen gelten die Qualitätsstandards des Dachverbands Wiener Sozialeinrichtungen als Mindeststandards. Diese stehen zum Teil im Widerspruch zu den Grundsätzen der persönlichen Assistenz, zB

  • Bei der freien Auswahl der Assistent*innen
  • Eine facheinschlägige Ausbildung ist keine Voraussetzung um in der PA tätig sein zu können. Assistenznehmer*innen leiten Assistent*innen an und schulen diese ein.
  • PAs verfügen oft über keine facheinschlägige Ausbildung, weil sie ja von den Assistenznehmer*innen angeleitet werden.
  • Bei den Anforderungen zur Dokumentation, die aus Sicht von Menschen mit psychischen Erkrankungen oft problematisch sind, weil sie nicht wollen, dass sehr ausführlich über sie dokumentiert wird und diese Dokumentation wird vielleicht auch noch an einen Fördergeber weitergegeben oder
  • Bei qualitätssichernden Maßnahmen, wie Teambesprechungen, Supervisionen, Fortbildungen, etc. bei denen Klient*innen nicht oder nicht ausreichend miteinbezogen werden.

Unabhängig von den Qualitätsstandards engen organisatorische Grenzen den Spielraum für Selbstbestimmung von Klient*innen deutlich ein

  • Einfluss auf die Auswahl der Betreuer*innen zu nehmen
  • relativ strikte Vorgaben im Hinblick auf die Rahmenarbeitszeiten der Betreuer*innen, die den Bedürfnissen der Klient*innen zu Teil entgegenstehen
  • vorgegebene Besprechungsstrukturen mit aktuell noch wenig Teilhabemöglichkeiten
  • Leistungsumfang und Leistungsinhalte
  • Spannungsfeld Betreuung (Fürsorge) – Selbstbestimmung (Empowerment)
  • Pädagogischer Habitus und falsch verstandene Partizipation

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